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Raiffeisen und das Fürstenhaus Wied

Mit Ausnahme Irlichs, das zu Kurtrier gehörte, bildeten die Orte des "Amtes Heddesdorf" das Stammland der unteren Grafschaft Wied. Graf Friedrich Alexander aus der Linie Wied-Neuwied, die in der unteren Grafschaft herrschte, wurde 1748 in den Reichsfürstenstand erhoben. Die obere Grafschaft, Linie Wied-Runkel, wurde 1791 gefürstet. 1824 starb die Linie Wied-Runkel aus und Wied-Neuwied "erbte" diesen Landteil. Bis zum Ende des alten Reiches war Fürst Johann August Carl souveräner Landesherr im Fürstentum Wied.

Durch die Rheinbundakte von 1806 verlor der Fürst zu Wied die Souveränität, er wurde "mediatisiert". Landesherren wurden die Herzöge von Nassau, den "Wieds" blieb nur eine eingeschränkte Landesherrschaft erhalten. Daran änderte sich wenig, als 1815 Preußen das Rheinland und damit auch Wied übernahm. Den nunmehr "Standesherrn" genannten mediatisierten ehemaligen Landesherrn bleiben eine eigene Regierung, die Erhebung direkter Steuern, die Gerichtsbarkeit in zwei Instanzen, das Schul- und Kirchenpatronat. Außerdem hatte der Fürst zu Wied das Mitspracherecht bei der Ernennung der Oberbeamten und der Bürgermeister.

1848 verzichtete Fürst Hermann zu Wied auf seine Hoheitsrechte. Zehnten, Grund- und Wasserlaufzinsen wurden zum achtzehnfachen statt zum gesetzlich festgelegten fünfundzwanzigfachen Jahresbeitrag abgelöst.

Die fürstliche Regierung wurde am 30. Oktober 1848 aufgelöst. Die wiedische Landesherrschaft hatte aufgehört zu bestehen. Dadurch konnten im Gebiet der Standesherrschaft Wied revolutionäre Erhebungen vermieden werden. 

Kurz nach diesen Ereignissen übernahm Raiffeisen im September 1852 die Bürgermeisterei Heddesdorf. Zwar war der Fürst zu Wied nicht mehr Landesherr und die Einstellung Raiffeisens hing nicht mehr von dessen Placet ab, trotzdem war der Fürst ein nicht unwesentlicher Machtfaktor geblieben. In erster Linie war er der größte Grundeigentümer in der Bürgermeisterei, weiterhin war der wiedische Hof ein bedeutender Wirtschaftsbetrieb.

Durch die Zugehörigkeit des Fürsten zu Wied zu verschiedenen Verwaltungs- und Regierungsgremien im preußischen Staat, erwuchs ihm auch politischer Einfluss. Nicht zuletzt wurde der Hof der Fürsten zu Wied als einer der gesellschaftlichen Glanzpunkte vor allem im Rheinland gerühmt. Das nicht wegen rauschender Feste und Prunkentfaltung, sondern weil es Fürst und Fürstin verstanden, die führenden Köpfe der Zeit um sich zu sammeln. Die "Wieds" galten im Zeitalter der Reaktion als liberal und waren daher der offiziellen - durch Bismarck verkörperten - preußischen Politik entgegengesetzt. Fürst und Fürstin waren persönlich stark sozial engagiert, was sie ganz sicher mit Raiffeisen über das rein Dienstliche hinaus in Verbindung brachte. 

Es ist nur ein Brief, datiert vom 27. März 1863, von Raiffeisen an den Fürsten Hermann erhalten, in dem er ihn um Unterstützung und Fürsprache für die Genossenschaftsidee bittet.

Hermanns Sohn Wilhelm (1845-1907) übernahm 1869 das Fürstentum. Er hatte ab 1859 in Basel das Gymnasium besucht und dort auch ein Jurastudium aufgenommen. Nach einer mehrmonatigen Bildungsreise um das östliche Mittelmeer trat er als Offizier in das preußische Heer ein. Im Stab der Armee des Kronprinzen, des späteren Kaisers Friedrich III., nahm der an den Kriegen von 1866 und 1870/71 teil. Auf Grund seines Standes war er Mitglied im preußischen Herrenhaus und im Provinziallandtag der Rheinprovinz. Zwischen 1897 und 1903 war Wilhelm zu Wied Landtagsmarschall, heute würde man sagen Landtagspräsident.
Durch seine Heirat mit der holländischen Prinzessin Marie gehörten die Herrscherhäuser Preußens, Russlands und der Niederlande zu seiner Verwandtschaft. Gerade diesen Fürsten hatte Raiffeisen von seiner Genossenschaftsidee und von seiner persönlichen Integrität besonders überzeugen können. Von Neuwied (Heddesdorf) aus traten ja auch die Darlehnskassenvereine Ihren Siegeszug im Rheinland und in Deutschland an. Im intensiven persönlichen Austausch zwischen Fürst und Raiffeisen scheint die Weiterentwicklung der Genossenschaften diskutiert worden zu sein. Schließlich waren es die guten Kontakte des Fürsten zu Wied zu den Behörden, zum Kronprinzen und Kaiser, der die schwierigen Verhandlungen zum Ausbau des Genossenschaftswesen mit den Staatsbehörden zu einem guten Ende führten. Die Fürsprache des Fürsten bei den begüterten Persönlichkeiten half auch bei der Kapitalbeschaffung für die
Raiffeisenorganisation. 

Auf dem Höhepunkt des sogen. Systemstreites zwischen Raiffeisen und Schulze-Delitzsch nahm Wilhelm zu Wied mit anderen namhaften Personen eindeutig Partei für Raiffeisen. Zwischen den beiden Männern scheint sich im Laufe der Zeit ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt zu haben. 

Nach 1902 zur Einweihung des Raiffeisendenkmals, erinnert sich Fürst Wilhelm: "Es war mir jedes Mal eine Herzensfreude, wenn ich diesen Mann mit seinem Stöckchen, vorsichtig den Weg tastend, in meinem Schloss einbiegen sah, um seine Gedanken, die ihm während der Nacht über die Organisation gekommen waren, zu erklären und so entstand ein Gedankenaustausch, der zu den schönsten Erinnerungen meines Lebens gehört..." 

Briefe Raiffeisens an den Fürsten zu Wied sind publiziert und wissenschaftlich ausgewertet. In dem Buch "F.W. Raiffeisen. Dokumente und Briefe 1818-1888" bemängelte W. Koch bereits 1888: "Die eminent wichtigen Impulse, die der Fürst zu Wied zur Entwicklung der raiffeisenschen Genossenschaftsorganisation gab, wurden bisher in der Literatur nur sehr verhalten gewürdigt. Eine genauere Untersuchung darüber wäre sehr hilfreich, da die Archivquellen mehr und mehr bestätigten, dass das Projekt Raiffeisens ohne die Mithilfe des Fürsten zum Scheitern verurteilt gewesen wäre."